Anlagepolitik 2. Quartal 2022

Rückblick

Mehr als ein Monat ist seit dem Beginn es Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine vergangen. Der Westen reagierte mit Sanktionen gegen Russland, welche mit dem Fortschreiten des Konfliktes weiter verschärft wurden. Viele Bereiche sind davon betroffen: Finanzen, Energie, Transport, Sport. Ausserdem wurden teilweise Vermögenswerte von Oligarchen eingefroren oder beschlagnahmt. Diese Sanktionen wurden nochmals deutlich verschärft, indem russische Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT ausgeschlossen wurden – die Türe zum globalen Finanzsystem wurde damit weitgehend geschlossen.

Nachdem die globalen Aktienmärkte in den ersten zwei Monaten bereits Korrekturen von 10 % verzeichnen mussten, erhöhte die Unsicherheit rund um den Russland/Ukraine-Konflikt die Verluste bis Mitte März nochmals deutlich. Danach erholten sich die Aktienindizes jedoch teilweise stark und konnten den März im positiven Bereich abschliessen. Dass der Markt noch immer kein Gleichgewicht gefunden hat, zeigen die teilweise sehr hohen Tagesschwankungen. Der Weltaktienindex MSCI verlor im laufenden Kalenderjahr -5.5 %, der amerikanische S&P500 -5.0 %, sowie der Technologie-Index Nasdaq Composite -9.1 %. Die europäischen Börsen wiesen ähnliche Abschläge auf, der deutsche DAX büsste -9.3 % ein, der breit gefasste Eurostoxx 600 -6.5 %. Die Schweizer Börse hielt sich vergleichsweise leicht besser mit -5.5 % (SPI).  In Asien zeigte sich ein heterogenes Bild, mit starken Einbussen des chinesischen Marktes (Shanghai SZSE) von -10.0 %, gefolgt von Hongkong mit -6.8 % und Japan mit -3.9 %.

Die Sektorbetrachtung zeigt die unterschiedliche Ausgangslage der verschiedenen Branchen in Bezug auf die derzeitige Marktkonstellation sehr deutlich. Angesichts des starken Wachstums der Energiepreise stiegen die Aktienkurse dieser Branche überproportional an. Dagegen wurden alle anderen Branchen (mit Ausnahme der Grundstoffe und Versorger) von dem Preisauftrieb der Rohstoffe zurückgebunden. Zu den relativen Verlierern gehörten insbesondere die Technologietitel, die von der Coronakrise begünstigt waren.

Die eng an die Entwicklung der Öl- und Gaspreise gekoppelten und deutlich gestiegenen Inflationserwartungen haben bei den Renditen zu einem Aufwärtsschub geführt. Die 10-jährige US-Staatsanleihe stieg auf das Renditeniveau von 2.4 % (Jahresende 1,5 %), die deutschen und schweizerischen Regierungsobligationen wiesen erstmals seit 5 Jahren wieder positive Verfallrenditen von 0.59 % bzw. 0.62 % aus.

Vergleichsweise ruhig blieb es an der Währungsfront, mit leichter Erstarkung des US-Dollars gegenüber Euro und Schweizer Franken. Der Goldpreis stieg vor dem Hintergrund der geopolitischen Unsicherheit und erhöhter Inflationserwartungen um rund 6 %, der Ölpreis «explodierte» um über 30 %, notabene nach einem Plus von 50 % im Vorjahr.

Standortbestimmung

Die Invasion Russlands in der Ukraine kann zweifelsohne als Zeitenwende betrachtet werden. Die politischen Auswirkungen dürften die Weltgemeinschaft über Jahre hinaus beschäftigen und grosse strukturelle Veränderungen anstossen – politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Art. Die Globalisierung, die durch die Pandemie bereits einen starken Dämpfer erlitten hat, wird durch den Konflikt in der Ukraine weiter zurückgedrängt. Absehbar ist, dass höhere Verteidigungsausgaben und der rasche Ausbau alternativer Energieträger bedeutende finanzielle Ressourcen absorbieren werden und die öffentlichen Finanzen nochmals im grossen Stil belasten. Die Deglobalisierungstendenzen sorgen zudem für steigende Kosten und sprechen für tendenziell tiefere Gewinnmargen der Unternehmen und für eine strukturell höhere Inflationsrate als in den letzten Jahren. Zudem treffen die höheren Energie- und Rohstoffpreise die Weltwirtschaft zu einem Zeitpunkt, an dem die Teuerungssituation ohnehin schon angespannt war. So kämpfen viele Unternehmen mit anhaltenden Lieferschwierigkeiten, die sich nun nochmals zu verschärfen drohen. Wenig hilfreich ist ferner, dass China an seiner strikten Zero-Covid-Strategie festhält. Die Kombination von tieferem oder stagnierendem Wirtschaftswachstum und gleichzeitig steigenden Inflationsraten erhöht unweigerlich die Risiken einer Stagflation.

Ausblick

Für die weitere Entwicklung der Finanzmärkte beurteilen wir die verschiedenen Chancen und Risiken in folgender Weise:

Chancen:

  • Eine nachhaltige Entspannung des Ukraine-Konfliktes würde zu einer Senkung der Energiepreise führen, damit das Wirtschaftswachstum unterstützen und die Inflationsraten tendenziell sinken lassen.
  • Die hohe Bewertung der Aktien hat sich nach den Kursrückgängen leicht verbessert. Trotz steigender Zinsen bleiben Aktienanlagen vergleichsweise attraktiv.
  • Der bemerkenswerte Optimismus an den Aktienmärkten könnte für eine gewisse «Widerstandsfähigkeit» sprechen. Der Fed-Zinserhöhungszyklus ist nicht per se schlecht für die Aktienmärkte.

Risiken:

  • Eine weitere Eskalation des Kriegsgeschehens, verbunden mit Unterbrechungen von russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa, würde die Energiepreise nochmals deutlich ansteigen lassen; das Wachstum der Weltwirtschaft käme zum Erliegen, bei gleichzeitig deutlich steigender Inflation.
  • Schwächere Gewinnentwicklungen der Unternehmen führen zu Bewertungsanpassungen an den Aktienmärkten.
  • Die seitens der US-Notenbank formulierte, vordringlichste Aufgabe der Inflationsbekämpfung lässt weitere Zinserhöhungen als sehr realistisch erscheinen.

Anlagepolitische Konklusionen:

  • Es gilt, einen klaren Kopf zu bewahren und in Zeitperioden von deutlich erhöhter Unsicherheit anlagepolitisch vorsichtiger zu agieren. Auch wenn Aktien und Immobilien als die verbliebenen Sachanlagen mit langfristig realem Wertsteigerungspotential und Inflationsschutz gelten, ist eine Übergewichtung derzeit nicht angezeigt.
  • Qualitätsaktien von Unternehmen mit hoher Preissetzungskraft und gesunden Bilanzen sowie eine vernünftige Diversifikation bilden die Basis unserer Portfolios. Dividendenstarke Titel sind bevorzugt.
  • Festverzinsliche Anlagen bleiben angesichts der unverändert tiefen nominellen Renditen und des steigenden Zinstrends weiter deutlich untergewichtet.
  • Goldanlagen haben ihre «Absicherungsfunktion» einmal mehr unter Beweis gestellt und bilden einen festen Portfoliobestandteil. Das Gleiche gilt für weitere Rohstoffe.

Beilage 1

Börsenüberblick per 31. März 2022

US-Staatsanleihen

 

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